Hermes Phettberg: Im Himmel erwarten ihn die "Jeansboys" - auch Rolf Schwendter war sein Gast!
19 Folgen (produziert von Palm) strahlten ORF und 3sat zwischen 1995 und 1996 aus und machten Phettberg damit über die Grenzen bekannt. Schon die Begrüßungsformel, mit der er seine Gäste aus Wissenschaft, Kultur und Prominenz anhielt, sich für "Frucade oder Eierlikör" zu entscheiden, war Fernsehen, wie es solches heute nicht mehr gibt. Ebenso die Optik des schwer Übergewichtigen mit dem bunten Halstuch, der hängenden Lippe, den wallenden Locken.
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Der Außenseiter als Liebling
Wahrlich zeichnete den Showmann allerdings seine Gesprächsführung aus: mehr selbstentblößender Monolog und Philosophicum als Fragenstellen. Un- und Halbwissen sowie ein Beharren auf dem falschen, aber immerhin eigenen Eindruck waren die Deckung, aus der hervor er sich mit Opern-Erklärer Marcel Prawy oder Schauspielerin Hilde Sochor zu Konversationssternstunden aufmachte. Mit Ersterem ging es natürlich um Sackerln, mit Letzterer um nächtliches Essen. Das lief dann so ab, Start Phettberg: "Nach so am Abend möchte i mi wo hinsetzen und Erdäpfel essen." Sochor: "Erdäpfel? Sie san aber sehr bescheiden!" Phettberg: "Und was dazu! Aber Hauptsache Erdäpfel." Sochor: "Jetzt begreif ich viel." (...) Phettberg: "Gehen Sie dann (nach einer Vorstellung, Anm.) ham kochen?" Sochor: "I bin ja nit wahnsinnig, dass i dann noch koch!" (...) Phettberg: "Ich bin schon wegen einer Tafel Schoklad mit dem Taxi zum Würstelstandl gefahren." Und so weiter.
Er stieg in höhere soziale Sphären auf: Der Außenseiter wurde zum, zuweilen mit einer gewissen Schaulust vorgezeigten, Liebling der Linksintellektuellen und Medien.
Mehr als bloß optisch passte der Koloss (ab 1988 bekannte er sich künstlernamentlich zur Erscheinung) eigentlich nicht zur feinen Gesellschaft. "Meine Eltern hatten nichts außer ihre Minderwertigkeitsgefühle", sagte der 1952 als Josef Fenz in Hollabrunn geborene bekennende Masochist einmal über die geistige Ödnis seiner Herkunft, "tatsächlich war es in der Kirche am schönsten, und der Pfarrer war prächtig." Natürlich wurde er Ministrant. Die Hak-Aufnahmeprüfung misslang ebenso wie ein Versuch, die Matura in der Abendschule zu machen.
Vom Fetisch zum Fernsehen
Getrieben von eigenen Komplexen, devoter Lust und Weihrauch lernte er also erst Bankangestellter, wurde dann Pastoralassistent und Mitte der 1980er Bruder im Orden des Fetischs: "Jeansboys" und Herrentoiletten waren seine große Leidenschaft, er betrieb sadomasochistische Initiativen und Kunstaktionen, forderte eine "Hochschule für Pornografie und Prostitution", engagierte sich bei Veranstaltungen der schwulen Community. Ab 1991 trat er in meist skurrilen Rollen in Theaterproduktionen Palms auf – die Folgen sind Fernsehgeschichte.
Nach dem Aus schaffte er es 2003 mit Beichtphater Phettberg auf ATV plus noch einmal auf die Bildschirme. Doch wurde es bald unweigerlich ruhig um den zwischenzeitlich 170-Kilo-Mann. Wohl auch, weil er immer weniger in das Bild passte, das die Menschen sich vom Leben machen wollten. Er wurde zum Sozialhilfeempfänger.
Elend und edel
Man konnte die schamlose Offenheit und schonungslose Selbstkritik, mit der der "Extremerotiker" sich in seiner Sehnsucht nach Liebe und Annahme darlegte, allzu leicht als derb und pervers missverstehen, hatte man nicht auch das gequälte und zugleich hochanalytische Wesen vor Augen, das er war. "Bin leicht zu vernichten" oder "filigran und furios, versaut und philosophisch" oder "Bin sehr einsam, denn niemand redet mit mir so innig wie über mich. Möchte gerne ERNST genommen werden" oder "Leider nicht schön" lauten ein paar seiner Notizen über sich selbst. Nachzulesen sind sie unter "Kleinanzeigen" auf seiner Website, wo er auch um Spenden bat.
Seine Pfleger und "Nothelfys", Bücher und das Ö1-Radio waren, was ihm später noch geblieben war, als frühere Bekannte die Straßenseite wechselten, wenn er ihnen auf dem Weg ins Gast-, Kaffee- oder Gotteshaus (auch wenn er nicht mehr an "Gotty" glauben konnte) entgegenkam. Wo der Körper bockte, arbeitete der Geist aber immer noch. Von 1991 bis zum Ende schrieb Phettberg für den Falter wöchentlich seinen eher subsakralen, durchs Kirchenjahr führenden Predigtdienst. Zuletzt über den Schlüsseltresor neben seiner Wohnungstür und Viagra. Bis 1995 liegen sie auch in Buchform vor.
Am Mittwochabend ist er, wie dem STANDARD bestätigt wurde, im engen Kreis von Freunden mit 72 Jahren in Wien gestorben. Er wird der Welt fehlen: sie, die ihn beschaute, er, der sie irritierte. (Michael Wurmitzer, 18.12.2024)
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